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Den Blick schärfen

Unsere Vorfahren zogen in die Welt hinaus, auf der Suche nach Erfahrung und dem Glück auf Schusters Rappen, heute jetten wir durch.


Kenne ich schon, war ich schon, ich muss weiter, sind unsere Lieblingssätze.

Zügig ist das neue Zauberwort.


Da das Leben gefühlt irgendwie zu kurz ist, agieren wir möglichst effizient.


Wir sind so sehr beschäftigt mit allem: Dem Fortkommen, dem Hochkommen, dem Dabeisein, dass wir meinen, den Blick immerzu in die Ferne richten zu müssen.


Weniger aufs Hier und Jetzt.


Ich will nicht unfreundlich sein, aber es kann geschehen, dass dieser unscheinbare Moment sich als der letzte erweist.


Schade darum und um all die verpassten Glücksmomente, die wir nicht einmal wahrnehmen, weil unser Blick aufs ferne, das ganz große Ziel gerichtet ist.


Die Details um uns herum verlieren an Schärfe, dahinten ist sowieso besser.


Nur wer ganz vorn ankommt, leuchtet.


Aus der Masse der Unbedeutenden herauszuragen, ja, das ist ein harter Vollzeitjob. Denn alle sind ja schon Profis auf diesem Gebiet.


Uns weit voraus mit ihrer Selbstvermarktung, die sich als die neue Währung erweist.

Die Generation der Vermarktungsprofis kreißt eine Menge Selbstbespiegeler. Das nehmen wir achselzuckend in Kauf.


Dass sie sich unfassbar ähneln und eine neue graue, amorphe Masse der vorgeblich Besonderen formen, fällt kaum auf.


Oder doch?


Versuchen wir es: Schärfen wir den Blick für das, was uns in diesem Augenblick umgibt.


Den Apfel? Vor dem Aufessen hinsehen, seine glatte Schale in der Hand fühlen. Die kleine, vernarbte Wunde von einem harten Regen ist noch erkennbar.


Schon mal an diesem Baum vorüber gelaufen?


Tausendmal. Schon mal hochgesehen, bis in den Wipfel?


Die Rinde schon mal berührt?


Die gebrechlich wirkende Frau am Fenster mit Piercing an der Braue? Ach, kennen wir schon.


Kennen wir sie?


Heute mal grüßen?



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