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Schöner scheitern

Scheitern, allein das Wort! Blanker Horror. Dass es altmodisch klingt, ändert nichts an der Tatsache, dass es gegenwärtig ist.

Parteivorsitzende, Bundeskanzler, Kandidatinnen und alle möglichen angeblichen Eliten versagen reihenweise.

Dabei passt auf die Schnauze fallen doch bitteschön nicht mehr in unsere erfolgssüchtige Zeit.

Der Ursprung des Wortes stammt von Scheiten, in Stücke gehacktem Holz also und bedeutet zunächst mal nichts anderes als in Stücke brechen oder zertrümmern. Wer je Kaminfeuerholz gespalten hat, kennt das befriedigende Gefühl, wenn ein Festmeter Holz sich an der Hüttenwand stapelt. Wer sich aber als der Gespaltene sieht, in Trümmer gehauen, am Boden liegend, weiß auch, dass man dieses Gefühl nicht geschenkt möchte.

Scheitern ist auf jeden Fall urdeutsch. Unvermögen gehört sich einfach nicht.

Nur in deutschen Nachrichten hängt über Bronzemedaillengewinnern der vernichtende Satz: Er scheiterte auf ganzer Linie, es reichte nur für Platz drei. In Spanien etwa wird auch Platz elf oder siebzehn gefeiert wie blankes Gold. Dabei beschreiben Sportler, dass Silber "das Schlimmste“ sei. Platz zwei eben, knapp daneben, verkackt.

Wahrscheinlich bloß nicht richtig angestrengt. Versager.

Scheitern geht gar nicht, dabei war es einst ganz normal, in eisgrauen Zeiten, als das Wünschen noch geholfen haben soll. In einer Zeit, in der Franz Schubert Lieder von Wilhelm Müller vertonte, die einem noch heute das Herz brechen: „Fremd bin ich eingezogen, fremd zieh ich wieder aus.“

Die Winterreise vereist einem das Gemüt allein vom Zuhören. Schöner scheitern war nie.

Schubert kannte das Gefühl der Aussichtslosigkeit: Der bewunderte Beethoven eben weggestorben, die Syphilis fraß an seinem Leib, die Damen hielten sich fern, zu pummelig, zu nahe am Scheiterhaufen nistete der mollige Kerl. Und selbst den Liederzyklus sollte wer anders komponieren.

Kann heilen, wer scheitert? Wenn es doch bedeutet, dass man selber alles vermasselt hat?

Das klebt irgendwie an einem, das Versagen, wer möchte sein Kind da noch Annalena nennen?

Den Traumjob im New Yorker Büro kriegt jemand anderes, der Dienstwagen ist wieder ein popeliger, der schöne Unbekannte flirtet mit Beata, nie wird man einen blöden Pflaumenkuchen mit Hefeteig so backen, dass er dem von Schwiegermama vorgezogen würde. Die heiße Tinderbraut ist auch bloß ein Teilzeitprostituierte etc. Das Leben entpuppt sich als ein einziger, mieser Scheiterhaufen.

Es gibt, das zum Trost, wahrhaftiges und eingebildetes Scheitern.

Haben Sie den Karren jemals so richtig an die Wand gefahren?

Sind Sie und die Insassen unbeschadet da herausgekommen?

Oder sind Sie paralysiert, ängstlich, verunsichert, und halten sich für einen Versager, der jederzeit auffliegen könnte?

Sie sind in bester Gesellschaft.

Scheitern ist menschlich. Scheitern, behaupte ich, gehört zu einem erfüllten Leben dazu. Die Fallhöhe auskosten, kann nur, wer jemals scheiterte.

Wer nie k.o. zu Boden ging, kennt nicht das ungeheuer beglückende Gefühl, wieder aufzustehen. Sie können das auch.


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