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AutorenbildAnne Loch

Selbstoptimierung

Aktualisiert: 1. März 2021

Ein getrimmtes Hinterteil, ein faltenloser, rosiger Teint, ein muskulös definierter, weitgehend fettfreier, gestählter Body…


Attribute, auf die der erfolgreiche Mensch angewiesen ist, wenn er auf den ersten Blick einen guten Eindruck machen will. Und erst die Menschin!


Wollten wir derlei nicht ursprünglich vom deutschen Hausschwein?


Wann war der Moment, als wir uns selbst nicht mehr genügten?


Ist es wirklich Photoshop, dem wir aufsitzen?


Sind es die Girls, die sich mangels einer Berufsbezeichnung Influencerin nennen, die sich auf den Malediven oder vor der Fototapete von Ikea ablichten und rasch noch ein paar Produkte schwenken, die man jetzt alle haben muss, um ebenso geliked und beachtet zu sein?


Die klagen, wie hart dieser Job doch sei, immer gestylt, jedes Salatblättchen muss abfotografiert und gepostet werden, jeder Pickel und jeder Markenname, an dem sie absichtsvoll vorüber schlendern.

Könnte ja sein, die Marketingabteilung einer hochkarätigen Firma entdeckt das Mädelchen und checkt die Unzahl der Likes, die es bienenfleißig sammelt von früh bis spät.


Immerhin: Einfluss ist besser als Ausfluss.


Dann wird es eingeladen in den Urlaub, zu Shoppingevents, Modeschauen und zum Essen und muss nicht mehr selbst die Restaurants anschreiben und anbieten, für ein kostenloses Mittagessen ein Foto mit wehendem Haar in der Trendfarbe Peach überm Pastagericht zu posten.


Vielleicht läuft auch was im Filmgeschäft, denn wenn die Influencerin viele Follower hat, also Schäfchen, die artig hinter ihr her traben, wird sie die Lemminge an die Kinokasse ziehen, wenn sie auch auf der Leinwand ihr Kussmündchen glänzen lässt.


Die echten Schauspieler braucht es nicht mehr, wenn man nur einen Kassenmagneten hat. So kalkulieren Produzenten leider längst.


Die Influencerin ist vielleicht - wie noch vor ein- oder zweitausend Jahren zwingend -vertrauenswürdig, hingebungsvoll und der Gemeinschaft verpflichtet?


(Ja, ich habe Sinn für Humor.)


Daraus nämlich speiste sich einst Autorität. Einst, wohlgemerkt.


Vielleicht aber kann sie einfach nichts anderes?


Ist unbegabt, ungebildet? Dafür geschäftstüchtig und mit den Werkzeugen vertraut, die es braucht, um im World Wide Web zu existieren.


Denn wer nicht bei Fratzenbuch vorkommt, hat verloren.


Wer nicht stündlich was twittert, ist raus. Gern hirnrissig, denn das polarisiert so schön und sorgt für Aufmerksamkeit. (Donald, du weisst, was ich meine.)


Wir alle haben es in der Hand, optimal existent zu sein.


Sogar meine Handykamera bietet auf einer Skala von eins bis zehn Optimierung an. Der Beautyfilter zeigt, wie ich aussehen könnte.


Sollte.


Müsste.


Um zu gefallen.


Ach, schau, denke ich, eigentlich sehe ich recht gut aus.


Wenn ich nicht vergrößere.


Und dann entdecke ich, das war nicht die eins, das war schon fünf.


Von eins wische ich lieber zurück, heute soll ein schöner Tag sein.


Immerhin, bei sechs erkenne ich noch vage eine entfernte jüngere Verwandte von mir, so könnte mein weichgezeichnetes, feinporiges Selbst vor längerer Zeit ausgesehen haben.


Die Haut glattgebügelt, ein komplettes Facelift inklusive Halsstraffung und Ohrenanlegung, riesige Augen, ein runder praller Mund, das Kindchenschema blinkt. Fast fiebriger Glanz in den Augen, vermutlich ob der eigenen Begeisterung.


Bei zehn erkenne ich mich nicht mehr.


Das scheint was Aufblasbares zu sein.


Schaue ich andere Fakegenossen auf Fotos an, erkenne ich die Stilistik desselben europäischen Schönheitschirurgen. Wir sehen alle gleich aus. Proportional ausgestanzte Menschenmasken, die wir anschauen und dann weiter wischen. Vielleicht gibt es irgendwo etwas noch Perfekteres.


(Wie eigentlich filtert die Beautyapp in Nigeria, Angola, der Mongolei oder Alaska?)

Ich jedenfalls muss ein Fake sein. Wie all die anderen Fakes, die mir entgegengrinsen.


Ja, es fing harmlos an, wir tuschten die Wimpern, um sie zu betonen, jetzt sind falsche in Mode. Und nach kurzem Erschrecken beim Anblick des Gegenübers mit überlangen Wimpern, so dicht wie Besenhaar, die Schatten ins Gesicht werfen, gewöhnt man sich daran.

Man gewöhnt sich an verwilderte, buschige Augenbrauen, die angeblich Jugendlichkeit und Fruchtbarkeit simulieren und erkennt nur bei näherer Betrachtung, dass die angepappten Brauenhärchen abfallen.


Man gewöhnt sich an geliftete Gesichtspartien, fruchtgesäuerte Haut. Ich habe mich sogar an meine absolut perfektionierte Nachbarin gewöhnt, die eben ihren 70. Geburtstag feierte und neben der ich vermutlich wie ihre Mutter wirke.


Aber nur, bis sie aufsteht und sich bewegt. An ihrem Gang, ihrer Körperhaltung, ihrer Gebrechlichkeit gibt es nichts Schraubbares, dabei hat sie neue Gelenke eingesetzt bekommen.


Wahr ist: wer passend aussieht, fällt die Karriereleiter geradezu hinauf.

Oder wieviel Vorstände agieren in den DAX Unternehmen, die zwergenhaft, adipös, ungepflegt und sichtbar gehandicapt sind?

Wäre ich zum Beispiel ein Hausschwein mit Besenwimpern, einem ewig feuchten Rüsselschnäuzchen permanent gelippglosst, mit knackigen Hinterläufen, einem schlanken Oberkörper, der mehr Rippchen, also Koteletts verheißt und trüge ich die hippesten Marken, wäre ich ein interessanterer Mensch?


Wenn ich das perfekte Maß der Stereotypie verkörperte…


Würde ich zur Kenntnis genommen?


Geliked?


Oder gehatet?


Immerhin, wer gehatet wird, bindet Emotionen.


Das ist die neue Währung!


Aufmerksamkeit.


Gerne um jeden Preis.


Hausschwein oder Nazischwein?

Egal, scheint es.


Hauptsache auffallen.


Wäre es da nicht cleverer, man sähe grundsätzlich anders aus?


Bizarr?


Mutiert?


Pervertiert?


Jedenfalls originell?


Erregte das nicht viel mehr als den Neid der anderen Superschönen?


Ich denke, ich versuche es mit Körperarbeit und den Massen 136 – 36 – 136.

Und dann poste ich alles wie alle.


Bestimmt wollen Sie ein Selfie mit mir, wenn es soweit ist?


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