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Von der Kunst, sich zu beruhigen

Wenn alles nervt und nichts mehr besser wird, obwohl einem das immerzu weisgemacht wird und wo man doch sein allergrösster Weismacher selber ist, dann liest man am besten den Kindern ein Märchen vor.


Eines, in dem die Hoffnung quillt und es mit Gewissheit heißt: Etwas Besseres findest du allemal.


Während die sieben Stadtmusikanten sich zuversichtlich zusammenrotten und kakophonisch tröten, schweifen Sie gedanklich ab.


Ist das wahr? Gibt es Besseres andernorts wirklich?


Und was wäre das Bessere?


Als ich nach Lanzarote kam und mehr Deutschtum auf dem Kerbholz mitbrachte, als ich selbst für möglich gehalten hätte, da konnte ich mich einfach nicht daran gewöhnen, dass nichts funktionierte wie einst daheim, wo die Leute überwiegend pünktlich und zuverlässig sind.


Hier lief nichts mehr wie am Schnürchen, kein Termin, der eingehalten wurde, keine Absprache, auf die Verlass war.


Das deutsche Bravbürgertum in mir schäumte, denn es waren nicht etwa höhere Mächte, die die Einhaltung von Abmachungen verhinderten.


Nicht Sturzbäche, Erdbeben, Seuchen oder Vulkanausbrüche.


Sondern alltägliches, banales Trödeltum.


Allerorten traf ich auf Unverständnis, dass ich das zermürbend fand und den Grund wissen wollte: Wenn etwas getan werden kann, warum es nicht erledigen? Warum warten und worauf?


Nun, lernte ich, dem stehen so viele andere Optionen entgegen! Wenn doch eben die Sonne scheint, warum dann die Eile?


Ja, schon gut, dies und das muss erledigt werden, aber muss es wirklich zwingend jetzt sein?


Wie wäre es an einem anderen Tag? Zu einer anderen Jahreszeit? Mit etwas Glück verschwindet das Problem von selbst und falls nicht, kann es doch auch in zwei, drei Jahren behaglich in Angriff genommen werden.


Vor allem später.


Meine wunderbare Nachbarin Nieves sah, dass ich haderte, wirklich, ich litt.


"Es lo que hay", erklärte sie mir. Und vermittelte mir damit sie allgegenwärtige Lebenseinstellung der Conejeros.


Das ist, was es gibt. Nicht mehr, aber immerhin auch nicht weniger.


Nimm das. Und nimm es an oder du wirst hier nicht froh.


"Es lo que hay", diese Erkenntnis zermürbt nur im ersten Moment ob ihrer unbeschränkten Trostlosigkeit.


Dann aber relativiert sie auf wunderbare Weise die Frustration.


Das Mantra schließlich bedeutet: Ja, schon wahr, das ist nicht, was man gewollt hat, aber schlimmer wird es vermutlich auch nicht.


Das Elend in Gänze ist absehbar. Kein verborgenes Desaster, kein infamer Hinterhalt, bloß das eben.


Exakt das ist es, was es gibt.


Nimm es nicht persönlich.


Auf Deutsch würde es dramatischer heißen: Friss oder stirb, du Vogel.


Ist es da nicht viel freundlicher, die Wahrheit in Gänze zu hören? Ungeschminkt und emotionslos.


Es lo que hay, Baby.


Und jetzt beruhige dich.


Bevor Ihr Kreislauf zu viel Fahrt aufnimmt, Sie gleich einen Infarkt erleiden, ehe Sie zutiefst verzweifeln an Ihrer Umwelt, Ihren Mitmenschen, Ihrer Existenz, akzeptieren Sie die verdammte Realität:

Es lo que hay.


Etwas Schlechteres nämlich findet sich auch allemal, irgendwo.


Und das muss ja nicht, oder?



Foto: Yogendra Singh

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